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Wir zählen nur bis sieben

Texte für den übernächsten Gedichtband, entstanden zwischen 2018 und 2022.

Was ist wahr, was ist Lüge?  Wir spüren, wie die Unordnung zunimmt, sie Tellerwäscher und Hasardeure befördert, während wir von Rabatten profitieren und es uns im nächsten Moment gerade mal zerreißt.

Von Sprache umgeben, die aufschlussreich ist, wenn wir aufmerksam zuhören und das Gesagte zu deuten wissen. Sofern wir nicht gerade auf etwas Unbestimmtes warten. Gleichzeitig das Gefühl, bereits in magischen Zeiten zu leben. Jeden Tag die Wahl, ob wir dem mit Zitronenlächeln, als Resignierapostel oder mit Zwergen-Pingpong begegnen.

UNSER GROSSES KAPITAL

Unser großes Kapital,
geheiligt werde der Markenname.
Dein Profit komme,
die unsichtbare Hand geschehe,
wie im Staat so an der Börse.
Unsere tägliche Arbeit gib uns heute.
Und verzinse unsere Schulden,
wie auch wir begehren den Ertrag.
Führe uns nicht in gesättigtes Wachstum,
erlöse die Welt mit neuen Gütern.
Denn Dein ist der Reichtum
und der Markt,
in Steuerfreiheit ungeregelt.
Amen.

UNGEWISS

Wer sind wir schon
wenn wir nicht wir selbst sind
Vergesst nicht
auch Erfundenes
kann höchst real sein
unser Schatten
braucht am allermeisten Licht

Wir spielen auf ganze Chancen
die Zahlen hinter dem Komma
das Kleingedruckte
dazwischen Brüche
und Unausgesprochenes
wir tanzen
auf verschränktem Boden

Improvisieren
eine Rahmenhandlung
die unser Leben ergibt
und versuchen
eine Geschichte zu finden
die zumindest
bis zum nächsten Sonnenaufgang hält

Wer sind wir denn
das wissen wir doch selbst nicht

REZEPT

Ich nehme kleine Zeitschleifen
schichte sie aufeinander
vermische sie mit Kleiderspenden
füge Flohmarktstücke dazu
Zeitungsnotizen
ganz besondere Töne
aus meinem Archiv
rühre ein paar
Gedanken ohne Rücksicht
auf verordnete Muster
stückchenweise hinein
würze das Gemisch
mit Widerhaken
und serviere es
am liebsten
als schwarze Schrift
auf weißem Grund

HILFE

Wenn jemand sagt
er scheut keine Kosten
um uns zu helfen
dann muss uns klar sein
das hat seinen Preis

Dann sehe ich
die Leichen im Fluss
an uns vorüber schwimmen
und manchmal uns selbst
mittendrin

GRUNDRECHENART

die zwölf jahre in deutschland
waren bei uns nur sieben

dollfuß und schuschnigg
zählen wir nicht mit

das kann man nicht vergleichen
hitler war ein missgeschick

er fiel vom himmel
völlig aus dem nichts

das parlament war bei uns
genau so lang geschlossen

das macht nichts
wir zählen nur bis sieben