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Das Lied von der stabilen Mehrheit

Last updated on 22. Dezember 2019

Nach jeder Wahl können wir es hören, die Zusammenarbeit bedürfe einer stabilen Mehrheit, ein Sicherheitsanker, den es auszuwerfen gelte, um als kleines Land in der ach so großen Welt bestehen zu können.  Stabile oder besser gesagt übliche Verhältnisse sind in westlichen Demokratien eine Stimme Überhang, eine Stimme mehr, um Abstimmungen zu gewinnen und seine Politik durchzusetzen. Oder mit einer Minderheitsregierung im Parlament Abgeordnete inhaltlich zu überzeugen.

Nicht so in Österreich.  Wenn es schon nicht möglich ist, mit Zweidrittelmehrheit zu regieren, so muss es eine deutliche Übermacht sein, um sich sicher zu fühlen, seine Meinung auszusprechen, am besten mit hundert oder hundertzwanzig Mandaten, wo doch bereits 92 reichten.

Aus diesem Verständnis heraus entstehen Ideen, wie die, dass zwei Parteien, die schon über die Mehrheit verfügten, noch eine dritte in ihre Koalition aufnehmen könnten. Wobei es nicht einsichtig ist, warum die beiden größeren Partner dies tun sollten. Im Normalfall wird sich niemand einen Partner zum Regieren nehmen, den er nicht benötigt.  Statt 112 genügen auch 97 Mandate, um Gesetze zu erlassen.

Den Gedanken psychologisch zu ergründen, wäre höchst interessant. Führt die Angst vor Verantwortung zu dem Gefühl, lieber eine größere Zahl zu suchen, hinter der es sich besser verstecken lässt? Ist scheinbare Bequemlichkeit der Motor des Ganzen? Wird unterbewusst der Demokratie nicht getraut, die im Falle einer speziellen Konstellation bei einer einzelnen Abstimmung ein nicht geplantes Ergebnis produzieren könnte? In diesem Fall misstraue ich der größten gemeinsamen Zahl.

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