Last updated on 17. Dezember 2019
Ein Künstlerroman? Soziologische Betrachtungen? Oder doch ein Krimi? Vielleicht Science-Fiction oder Satire? Nun, von allem etwas, der Roman von Michel Houllebecq lässt sich nicht mit einem einzigen Etikett versehen. War es bei seinen früheren Romanen, wie Elementarteilchen oder Die Möglichkeit einer Insel, einfacher sie einzuordnen – entweder gefielen sie einem oder nicht, fand sie großartig oder trivial, ich selbst fand sie sehr gelungen – bei Karte und Gebiet ist das Urteil nicht nur deswegen schwieriger, weil verschiedene Genres den Roman zusammenfügen, sondern auch weil die Passagen unterschiedlich gut gelungen sind.
Zuerst ist es vorrangig ein Roman, der die Entwicklung eines Künstlers schildert, den heutigen Kunstbetrieb, sich gleichzeitig über ihn lustig macht und als Kunstgriff den Autor mit einer wesentlichen Rolle in die Handlung integriert, ein unterhaltsames Vexierspiel, das den Leser raten lässt, was Fiktion ist und ob gewisse Positionen oder Haltungen der Romanfigur Houellebecq realen Bezug zu seiner tatsächlichen Person haben könnten. Der Grundbogen des Romans hält das Interesse an ihrem weiteren Schicksal aufrecht, ihr gewaltsamer Tod passt in die Handlung, ist gut für Marketing und Verkaufszahlen des Buches.
Die Passagen, welche das Werk des Künstlers über mehrere Seiten in der Sprache des Kunstmarkts beschreiben, sind vielleicht eine gelungene Persiflage, können aber auch langweilen oder den Verdacht erwecken, Texte bestehender Galerieprospekte montiert, verfremdet oder abgeschrieben zu haben. Mein Urteil wäre bei mehrmaligem Lesen wahrscheinlich von der Tagesverfassung abhängig. Die soziologischen Einschübe, über William Morris, über Handwerk, Konzeption und Kunsttheorie, hätte ein anderer Lektor möglicherweise gekürzt.
Danach entwickelt sich das Buch zum Krimi, was mich schon befürchten ließ, dass es ein vorauszusehendes Ende haben werde, was zu meiner Erleichterung doch nicht geschah. Am Schluss läuft das Buch noch in die Zukunft über, ein für Houellebecq typisches Motiv, eine interessante Spekulation, in Details manchmal zu sehr der Gegenwart verhaftet – ob es zum Beispiel in ein paar Jahrzehnten noch 21-Zoll-Monitore gibt?
Gesamteindruck? In Summe positiv, mit Einschränkungen. Der Autor scheidet die Geister, auch darin ist er mit Thomas Bernhard vergleichbar. Mit seinem nüchternen und kühlen Blick auf die Außenwelt, kategorisch und unversöhnlich, mit Passagen, in denen er seinen Anschauungen oder denen seiner fiktiven Personen viel Platz einräumt. Textteile, die in jeder Schreibschule nebenbei vernichtet würden, gezielte Provokationen, die diesmal weniger offensichtlich geschehen, mit etwas anderen Schwerpunkten, bis hin zur Kursivsetzung bestimmter Wörter, die dadurch besonderes Gewicht bekommen sollen.
Es ist ein komplex angelegtes Buch, man könnte auch sagen, es bricht mehrmals die Erwartungen des Lesers, auch weil es Muster seiner bisherigen Romane intelligent variiert, Schwerpunkte verschiebt und somit neue Möglichkeiten in seinem Werk eröffnet. Der Erfolg seiner Romane zeigt, dass seine Themen relevant sind, sonst würden sie nicht so intensiv diskutiert.