Zum Inhalt springen

Arabiens Stunde der Wahrheit

Last updated on 17. Dezember 2019

Lesen Politiker noch Bücher?

Nach Meinung vieler Zeitgenossen bestand die Regierung von John F. Kennedy aus den besten nur denkbaren Köpfen, intelligent und gebildet. Sie begann mit guter Absicht, verursachte die amateurhafte Invasion in der Schweinebucht, führte beinahe einen Atomkrieg und intervenierte in Vietnam, was sich später zum Trauma einer Generation entwickelte.

Die Torheit der Regierenden kann sich auch anders darstellen. Politiker, die im Interview glaubwürdig versichern, als einziges Buch den Schatz im Silbersee vollständig gelesen zu haben. Wobei man fairerweise hinzufügen muss, es wurde nie gänzlich geklärt, ob der Interviewte mit dem Interviewer ein ironisches Spiel trieb. Jedenfalls schadet eine vorgegebene Ferne zu Kultur und Intellekt nicht beim Wähler, für den so manches intelligente Argument populistisch begraben wird.

In Kambodscha, unter den Roten Khmer, war man als Brillenträger automatisch Intellektueller und wurde deswegen mit einer Schaufel erschlagen. So weit sind wir in Österreich noch nicht, wobei brillentragende Abgeordnete und Minister im Parlament nicht gerade überwiegen.

Jedenfalls gibt es Bücher, welche Politikern helfen könnten, sich mit längerfristigen und größeren Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Arabiens Stunde der Wahrheit von Peter Scholl-Latour ist so eines, in dem er, wie bereits in seinen früheren Werken, erzählt, veranschaulicht und erklärt. Er mischt Geschichte, geografische Eigenheiten, Erlebtes und Gespräche. Er webt es zu einem orientalischen Teppich und zeigt das Netz von Fäden, das auf dichtem Raum nebeneinander liegt, oft in Blickkontakt und doch durch Grenzen, ethnischer, politischer oder religiöser Art voneinander getrennt.

Das Buch ist hochaktuell, man nehme den breiten Gürtel islamischer Staaten, ihre ungelösten Probleme, deren Ursachen für die Gegenwart oft weit zurückliegen, in frühen Kalifaten, Hinterlassenschaften der Kolonialregierungen, Veränderungen der letzten paar Jahrzehnte. Dazu der sogenannte arabische Frühling, Unruhen, Aufstände, Verwicklungen, egal ob Algerien, Ägypten, Irak oder Bahrein, sie sind nicht plötzlich entstanden und sie werden nicht auf einmal beendet sein.

Peter Scholl-Latour vermittelt Fakten und Hintergrundwissen in großem Umfang. In manchen Passagen etwas zu viel davon, was er durch lebhaftes Veranschaulichen in Form von Zeitsprüngen und Ortswechseln wieder ausgleicht. Durch den geübt gelungenen Mix, der seine Berichte und Analysen meist auszeichnet, die zuweilen auch etwas eigenwillig sind. Es ist trotzdem interessant, seiner Argumentation zu folgen. Seine gute Kenntnis des islamischen Raums, den er auf persönlichen Reisen und Treffen seit den fünfziger Jahren regelmäßig besucht hat, ermöglicht dem Leser vielfältige Einblicke in die von Konflikten und Auseinandersetzungen geprägten Region.

Published inGeschichtePolitik