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Schach dem Weltmeister

Last updated on 22. Januar 2020

In wie vielen Partien soll der Schachweltmeister ermittelt werden? In den letzten Jahren waren es 12 Partien, die gespielt wurden, mindestens 6,5 Punkte waren für den Titelgewinn notwendig. 2020 werden es 14 Partien sein.

In der Geschichte der Schachweltmeisterschaften gab es schon viele verschiedene Varianten. Im Jahr 1910 waren es nur zehn Partien, in denen beinahe ein Wiener den Titel errungen hätte. Carl Schlechter führte vor der letzten Partie gegen Emanuel Lasker mit 5:4, ein Remis im letzten Aufeinandertreffen wäre für ihn ausreichend gewesen. Er eröffnete die Entscheidung mit einer Eröffnungsneuerung, um unbedingt zu gewinnen, ein romantisches Element, das sogar damals bei Zeitgenossen auf Unverständnis stieß. Die Partie wogte hin und her, nach drohendem Verlust wäre noch ein Remis möglich gewesen, bis er die Partie doch verlor, der Wettkampf unentschieden endete und der Weltmeister seinen Titel behielt.

Thomas Glavinic hat in Anlehnung an diesen Wettkampf übrigens ein lesenswertes Buch geschrieben, Carl Haffners Liebe zum Unentschieden, das mir vor einigen Jahren ausnehmend gut gefallen hat und sehr gelungen in die Welt der Schachspieler eintaucht.

1927, zwischen Capablanca und Aljechin, waren bereits 12,5 Punkte oder acht Siege für den Titel notwendig, ein Regelwerk, das in abgewandelter Form öfters vorkam. Damals suchte der Weltmeister sich seinen Herausforderer noch aus, was in der Neuzeit Kasparow mit dem Wettkampf gegen Kramnik im Jahr 2000 wieder einführte – und zur Strafe prompt verlor.

Nach dem zweiten Weltkrieg, 1948, wurde der Weltmeister in einem Rundenturnier ermittelt, danach gab es für mehrere Jahrzehnte einen stabileren Modus. Von 1951 bis 1975 spielten Titelverteidiger und Herausforderer ein Match auf 24 Partien, zum Gewinn waren 12,5 Punkte notwendig, bei Unentschieden (12:12) behielt der amtierende Champion seinen Titel. Bis 1961 hatte der Weltmeister bei Verlust Anspruch auf einen Revanchewettkampf, was Botwinnik mehrmals erfolgreich nutzte. Die Ermittlung des Herausforderers variierte ebenso, dazu könnte man einen eigenen Artikel schreiben, wobei die bewährteste Methode die Qualifikation über Zonen- und Interzonenturniere sowie die Durchführung von Kandidatenwettkämpfen (Matches) mit den daraus hervorgegangenen acht besten Spielern im K.o-Modus war.

Bekanntermaßen trat Bobby Fischer 1975 nicht zur Titelverteidigung an, er versuchte bis zuletzt für ihn vorteilhafte Bedingungen herzustellen und wünschte sich ein Match, in dem auf 10 Siege gespielt werden sollte, Remis hätten nicht gezählt, bei einem 9:9 wäre er Weltmeister geblieben, der Herausforderer hätte also mit 10:8 gewinnen müssen. Bedingungen, wie sie Steinitz 1872 seinem Herausforderer Zukertort für einen Wettkampf diktiert hatte. Jedenfalls begann damit das Zeitalter der K. u. K., zuerst Kortschnoi und Karpov, die 1975 das Kandidatenfinale bestritten, aus dem Karpov erfolgreich hervorging, auf das 1978 und 1981 weitere Matches folgten, in denen der Modus sich dahingehend änderte, dass die Kontrahenten auf sechs Siege spielten, Remis zählten nicht, womit das Privileg des Weltmeisters bei einem Unentschieden seinen Titel zu behalten, wegfiel.

Vielleicht wären wir noch heute bei diesem Modus, wenn 1984 Karpov nach raschem 4:0, gefolgt von einer Führung mit 5:0, gegen seinen jugendlichen Herausforderer Kasparow (das kommende K) einen der vielen Matchbälle verwandelt hätte, was ihm nicht gelingen wollte. Nach 48 Partien führte er nur mehr 5:3, was noch immer höchst kommod war. Das Match wurde mit der Begründung abgebrochen, dass bereits doppelt so viele Partien wie bei früheren Wettkämpfen gespielt waren. Schachfans und das Team von Garry Kasparow vermuteten allerdings, dass der systemtreue Titelverteidiger (nicht zu vergessen, der Wettkampf fand in Moskau statt), welcher allmählich  konditionelle und gesundheitliche Schwierigkeiten hatte, vor der möglichen Niederlage geschützt werden sollte.

Von 1985 bis 1990 kehrte die FIDE (Weltschachverband) wieder zum 24-Partien-Modus zurück, jeweils mit knapper Entscheidung zugunsten von Kasparow. 1993 gründete Kasparow die PCA, eine Art alternative FIDE und spielte gegen Nigel Short, den Sieger der Kandidatenwettkämpfe, ein 24-Partien-Match. Da aber beide von der FIDE disqualifiziert wurden, gab es einen Wettkampf der FIDE (ebenso 24 Partien), den Karpov gegen Jan Timman gewann. Ab diesem Jahr gab es also zwei Weltmeister, Kasparow und Karpov. Böse Zungen behaupteten sogar, dass es drei verschiedene Weltmeister gab, denn Bobby Fischer sei ja nie besiegt worden!

1996 veranstaltete die FIDE einen Wettkampf von 20 Partien, um in den Jahren danach ihren Weltmeister in wenigen Partien mittels K.o.-Wettkämpfen und ggf. Tie-Breaks mit Schnellschach (kürzere Bedenkzeit) zu ermitteln, was unter den Schachspielern auf viel Ablehnung stieß. Die PCA verkürzte ihre Wettkämpfe von 1995, 2000 und 2004, auf zuerst 20, dann 16 und schließlich 14 Partien.

2005 veranstaltete die FIDE ein Rundenturnier mit acht Spielern, der Sieger, Topalov, trat 2006 gegen Kramnik zum Wiedervereinigungswettkampf an, 12 Partien, nach Gleichstand ein Tie-Break, vier Schnellschachpartien, das Kramnik, der 2000 Kasparov abgelöst hatte, gewann. 2007 gab es wieder ein Rundenturnier, ab 2008 Wettkämpfe mit 12 Partien und ggf. Tie-Break.

Kehren wir zurück zur Ausgangsfrage. In den achtziger Jahren regten sich die Gelegenheitsschachspieler oder lediglich Interessierte darüber auf, dass die Wettkämpfe so lange dauerten. Warum spielen die so lange? Seit 1993 wusste niemand mehr, wer Weltmeister war, die Spaltung hat dem Schach nicht gut getan, die Folgen sind erst im letzten Jahrzehnt überwunden worden.

Der Schachweltmeistertitel hatte früher Bedeutung. Wer kennt noch den letzten Slalomweltmeister? Ein Wettkampf, der nicht jedes Jahr, also nicht inflationär stattfindet, hat sicher mehr Bedeutung. Die kürzere Zeit für den Wettkampf ist für die Öffentlichkeit vielleicht in der Berichterstattung etwas attraktiver, bei Beibehaltung des 24-Partien-Modus wäre zumindest der sportliche Wert gesichert.

Ein Match mit zwölf oder oder auch mit vierzehn Partien ist bei heutiger Technik der Spitzenspieler fast schon eine Zufallsentscheidung. 2016 und 2018 fiel die Entscheidung erst im Tie-Break, 2018 gab es in der Normalspielzeit überhaupt nur zwölf Remis und keinen einzigen Sieg.

Für Normalsterbliche kaum nachvollziehbar, hat sich das Spitzenschach, auch aufgrund der Möglichkeiten durch Analyse am Computer und durch Nutzung von Schachdatenbanken, so sehr verbessert, dass erst ein Match von längerer Dauer eine gewisse Aussagekraft über die Kräfteverteilung der beiden besten Schachspieler der Welt zulässt.

Bleibt zu hoffen, dass der Schachweltmeister in Zukunft am Ende eines Wettkampfes nicht mehr im Schnell- oder Blitzschach ermittelt wird. Es genügt, dass Schach für durchschnittliche Klubspieler ein Glücksspiel ist („Der letzte Fehler entscheidet die Partie“). Auf der Ebene des Spitzensports darf das nicht passieren. Ebenso muss dafür gesorgt sein, dass die Ermittlung des Herausforderers nachvollziehbar geschieht und die stärksten Schachspieler der Welt daran teilnehmen.

Quelle:
Wikipedia, Schachweltmeisterschaft
Chessbase, Braucht die Schachweltmeisterschaft eine Reform?

Published inAllgemein